**** Dies Album verwirrt man könnte ohne weiteres auch schockiert sagen - bis heute alle Zuhörer und Fans von Bob Dylan. Es steht als riesengroßes Fragezeichen in Dylans Biographie, die ja einige massive Umschwünge und Stilwechsel kennt. Aber keiner der Musikkritiker, Zuhörer und Fans, der bei diesem Album nicht halbwegs verzweifelt wäre. Mehr als die Hälfte des Albums besteht aus Coverversionen, teilweise von Liedermachern, die gern selbst kleinere Dylans gewesen wären, wie Paul Simon und Gordon Lightfoot. Und genau die Coverversionen waren - überwiegend - das Schrecklichste an dem Album. Am schlimmsten die Version von "The Boxer", wo man unweigerlich gern selbst den Stecker ziehen möchte. Dagegen kommt Gordon Lightfoot noch glimpflich davon. Die ganz große Ausnahme, bei der das Cover besser ist als das Original, ist "Gotta travel on".<br>Die besten eigenen Stücke verhunzt Dylan teilweise noch durch völlig abwegige Arrangements, katastrophale Live-Aufnahmen mit Verstärkerfiepen und unsauberen Sessiongesang (Like A Rolling Stone). Oder er zieht die Arrangements ins Lächerliche "The Mighty Quinn" klingt wie ein Saufgelage im Pub, "The Belle Isle" wird durch ein überdramatisches Orchesterarrangement seiner Anhörbarkeit beraubt.<br><br>Weshalb er ein so ungewöhnliches Album veröffentlichte, darüber rätseln bis heute alle Kenner. Als wahrscheinlichste Hypothese ist anzunehmen, dass er alle seine Fans, die ihn als Übervater der kritischen Popmusik beinahe als Gott verehrten, einmal kräftig vor den Kopf stoßen wollte. Darauf deutet auch ein von ihm überliefertes Zitat aus dem Jahr 1989: "We released that album to get people off my back". <br>Es war einfach nicht mehr bereit als Erfüllungsgehilfe ausgedienter und lästiger Erwartungen zu fungieren. <br>Darauf verweisen zwei seiner Songs sehr deutlich. Einmal Take a Message to Mary, wo es heißt: Just tell her I went to Timbukt, tell her I'm searching for gold. You can say she better find someone new to cherish and to hold und zweitens im Song Take Me As I Am (or Let Me Go), wo es heißt: "You're trying to reshape me in a mould,
in the image of someone you used to know, but I won't be a stand-in for an old love. Take me as I am or let me go." <br>Vielleicht war es auch ganz einfach: Dylan wollte nach einem Motorradunfall im Jahr 1966 und etlichen Gerüchten über den Tod des Songwriters endlich seine Ruhe: Dies belegt insbesondere der Umstand, dass das große Woodstock-Festival nicht ohne Hintergedanken genau dorthin gelegt werden sollte, wo sich Bob Dylans Wohnort zur damaligen Zeit befand. Dylan und mit ihm viele andere Bewohner wehrten sich erfolgreich dagegen: Das Konzert wurde nach Bethel, ca. 50 km nördlich verlegt.<br>In seiner Autobiografie schreibt Dylan: "Früher einmal war der Ort eine ruhiges Refugium gewesen, jetzt nicht mehr. In allen fünfzig Bundesstaaten hatte man wohl Karten gedruckt, damit die Gangs von Dropouts und Drogensüchtigen unsere Farm finden konnten. Pilger aus dem fernen Kalifornien hingen herum. Zu allen Tag- und Nachtstunden brachen Idioten bei uns ein."<br>Noch vor dem Festival suchte Bob Dylan das Weite und verbrachte die Zeit mit seiner Familie in New York City. In Woodstock trat der bekannte Folksänger, der als Zugpferd hatte dienen sollen, also ganz bewusst nicht auf.<br>Mit dem Album Self Portrait sollten seine Fans also ganz offensichtlich düpiert werden. Ganz einfach, damit er endlich den Kopf wieder frei bekommen konnte für das, was ihn musikalisch wirklich interessierte. Die nächsten Alben sollten das belegen. Aber die Absicht, sich Freiheit zu verschaffen, indem er sich mit diesem Album unbeliebt machte, brachte keinen langfristigen Erfolg. Seine Fans verziehen ihm diesen Ausrutscher und hoben ihn anschließend desto höher auf den Thron aller Singer/Songwriter.<br>Äußerst knappe 4 Sterne. |